Achava-Festival: Erinnerungen gegen das Vergessen

„Ich finde es unheimlich wichtig, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, was Hass an Schlimmem anrichten kann“, sagt Thüringens Landtagsvizepräsident Dirk Bergner, der heute in Erfurt an einer Veranstaltung der Achava-Festspiele teilnahm. „Deshalb ist es nötig, mit Kindern und Jugendlichen über eines der schwärzesten Kapitel deutscher Geschichte zu sprechen: das Nazi-Regime und den Holocaust. Sie müssen verstehen, wie es dazu kommen konnte, wie Menschen so etwas Schreckliches anderen Menschen antun konnten. Und sie müssen begreifen, wie wichtig Toleranz und Freiheit sind.“

Die Achava-Festspiele sollen ein jüdischer Impuls für mehr Liebe und Brüderlichkeit im Leben der Thüringer sein. Zum sechsten Mal finden sie dieses Jahr statt. Sie stehen für ein freies Miteinander sowie den regen Gedankenaustausch. Sie werben für Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen. Mit diesen Festspielen wollen die Veranstalter alle an jüdischer Kultur und interkulturellem Austausch Interessierte ansprechen. Neunt- und Elftklässer aus Erfurt und Schleiz waren heute innerhalb des Festivals im Zughafen Erfurt zu Gast, um dort mit Opfern des Holocaust und Thüringer Landespolitikern ins Gespräch zu kommen.

Mit dabei war auch Zeitzeugin Eva Stocker. Sie lebt heute in der Schweiz – arbeitet als Psychologin, Lehrerin, Autorin und Filmemacherin. Ihre Geschichte spielte eine zentrale Rolle während der Veranstaltung in Erfurt. Denn Eva Stocker ist ein jüdisches Findelkind. Sie weiß trotz umfangreicher Recherchen bis heute nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind. Es waren aber mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ungarische Juden auf dem Transport nach Auschwitz.

Ab April 1944 durchfuhren die Züge, die ungarische Juden ins Vernichtungslager Auschwitz brachten, Kosice. Zwei bis sechs Züge sollen es pro Tag gewesen sein. Zeitzeugen berichteten in den Nachkriegsjahren, dass verzweifelte Mütter ihre Kinder fremden Menschen in die Hand drückten, um sie vom Transport zu bekommen, sobald die Züge kurze Zeit stoppten. War auch Eva Stockers Mutter unter Ihnen? Legte sie ihre Tochter – in der Hoffnung, sie so vor dem Vernichtungslager zu retten – auf dem Bahnhof in Kosice/Kaschau (heute Slowakai) ab? Ein ungarischer Bahnbediensteter fand das Mädchen und nahm es mit nach Hause. Mit der Vertreibung der Ungarn aus der Slowakei nahm er das Kind mit und gab es in einem Kinderheim im ungarischen Miskolc ab. Das Mädchen lebte in verschiedenen Pflegefamilien, wurde schließlich adoptiert. Zwölfjährig fand Eva Stockert dann im Kleiderschrank ihrer Adoptivmutter einen Schuhkarton mit dem Hinweis auf das Eisenbahner-Ehepaar, das sie mit nach Miskolc genommen hatte. Seither lässt Eva Stockert das eigene, aber auch das Schicksal so vieler anderer Juden nicht los. Sie recherchiert und recherchiert, veröffentlicht ihre Recherche-Ergebnisse und stellt sie der Öffentlichkeit auf verschiedenen Wegen vor. Auch in einem Film lässt sie Zeitzeugen aus acht Ländern zu Wort kommen.

NSU habe gezeigt, dass Hass auch in einer vermeintlich liberalen Welt ein fester, sehr gefährlicher Bestandteil ist, so Dirk Bergner zum Thema. „Es wäre aber zu einfach, das nur an die geschichtlichen Erfahrungen zu knüpfen. Menschen neigen immer noch sehr dazu, in Rudeln über andere herzufallen. Nicht nur in Kriegen, nicht nur mit körperlicher Gewalt.  Das geht heute auch ganz einfach von der eigenen Wohnung aus – in sozialen Netzwerken zum Beispiel. Wie oft fallen Menschen in diesen virtuellen Räumen im Rudel über einen anderen her, mobben ihn. Das ist für mich auch eine Art von Gewalt.“ Solches Tun könne nur gestoppt werden, wenn viele aktiv dagegen arbeiten, sagt Bergner. Zuvor sei jedoch das Begreifen nötig, dass man nicht alles mitmachen muss. „Und deshalb müssen wir unseren Kindern und Enkeln jeden Tag neu erklären, dass  der respektvolle Umgang miteinander sehr wichtig ist.“

Foto: Dirk Bergner im Gespräch mit Eva Stocker (Bildautor: Patrice Klohn)

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